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Cyber-Grooming

Ist TikTok eine Gefahr für Kinder?

Kind mit Handy unter der Decke
Cybergrooming: Warum Tik Tok für Kinder gefährlich werden kann Foto: Getty Images/Westend61
Jules Finn Birner

03.11.2020, 08:50 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten

Die App TikTok erfreut sich bei Kindern und Jugendlichen unheimlich großer Beliebtheit. Doch immer öfter wird die App für Mobbing und sogenanntes Cyber-Grooming missbraucht.

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Den eigenen Idolen nacheifern und sich für ein paar Augenblicke wie ein großer Star fühlen – wofür vor einigen Jahren noch ein Ausflug in die Mini-Playback-Show vonnöten war, braucht es heutzutage lediglich ein Smartphone. TikTok gibt seinen Anwendern die Möglichkeit kurze Videos aufzunehmen, die Nutzer beim Playback singen oder beim Tanzen zeigen. Harmlose Inhalte also, die oft unbedacht daherkommen. Obwohl die Nutzung des Dienstes erst ab 13 Jahren erlaubt und laut AGB für unter 18-Jährige die Erlaubnis der Eltern erforderlich ist, zeigen viele Videos Kinder, die augenscheinlich sehr viel jünger sind, berichtet etwa das Elternportal „schau-hin.info“.

Sexuelle Belästigung und Cyber-Grooming

In der App finden sich unter einschlägigen Hashtags wie etwa #bellydance oder zum Beispiel #bikini immer wieder neue Videos von Minderjährigen, die grenzwertig aufreizend zu angesagten Hits singen und tanzen. Dieses Szenario scheint wie gemacht zu sein, für das sogenannte Cyber-Grooming. Bei diesem Phänomen werden vermeintlich harmlose Videos auf Social Networks für andere Zwecke missbraucht. Dazu bauen unbekannte Erwachsene über die App zunächst Vertrauen zu den Minderjährigen auf, um dann – teilweise innerhalb weniger Minuten – auf die Themen Liebe oder Sex einzugehen. Häufig bitten sie die jungen Mädchen und Jungs um weitere Bilder oder Videos. Oft mit Erfolg. Vor allem Kinder, aber auch ältere Jugendliche, probieren sich aus und experimentieren mit ihrer Aussendarstellung. Manchmal auch mit ihrer sexuellen Anziehungskraft.

Lesen Sie auch: Was ist TikTok? Die App einfach erklärt

Kommen sie den Bitten des Unbekannten nach, folgt meist regelrechter Terror. Die Täter drohen damit, die Bilder weiter zu verbreiten, es sei denn, ihre Opfer schicken weitere Aufnahmen. Nicht selten zwingen die Erpresser die Mädchen und Jungen auch zu persönlichen Treffen, um sich an dem Kind zu vergehen.

Das Thema „Sexuelle Belästigung im Internet und Cyber-Grooming in den Lebenswelten der 11 bis 18-Jährigen“ erforschte das SOS Kinderdorf in Zusammenarbeit mit dem Institut für Jugendkulturforschung in Wien. Wie sich das im Einzelfall darstellen kann beschreibt Studienteilnehmerin Annika (18 Jahre) mit diesen Worten: „Er hat mich schon ein bisschen gedrängt. Ich war halt zu unsicher, um nein zu sagen. Das ist halt Teil meiner Persönlichkeit. Die Frage war, was passiert, wenn ich jetzt nein sage, weil wenn man den jetzt nicht kennt, weiß man es nicht.“

Missbrauch ohne Körperkontakt

Die Täter versuchen gerne, ihre Opfer auf andere Plattformen (wie etwa Chatroulette) zu locken. Denn dort haben sie wegen mangelnder Kontrollmöglichkeiten noch leichteres Spiel, wie auch Studienteilnehmerin Lena (17 Jahre) bestätigt: „Ja, ja, voll da hab ich nur Angst, da denk ich oft dran und bereue viele Sachen. Ich war nur arg, ich hab nur die argen Sachen gemacht, auf Chatroulette teilweise mit diesen Männern masturbiert, das wäre mir sehr unangenehm, da war ich halt 12, 13, hab dran nicht gedacht.“

Als Vorbereitung zu sexuellem Kindesmissbrauch sind solche Handlungen strafbar, Cyber-Grooming gilt also als Straftat. Für diese Form des Missbrauchs ist kein Körperkontakt nötig. Eltern sollten daher Beweise, etwa anhand von Screenshots, sichern und bei berechtigtem Verdacht an die Polizei weitergeben.

Auf dieses Thema angesprochen verweisen die TikTok-Macher darauf, ein Sicherheitsnetzwerk eingerichtet zu haben, welches die Inhalte genau überprüfe. „Die App verfügt über eine Vielzahl an Schutzmaßnahmen und gewährleistet eine Moderation rund um die Uhr, um die Möglichkeiten einer missbräuchlichen Nutzung der App zu reduzieren.“ Dennoch merkt der Anbieter an, dass generell kein System unfehlbar sei. Allein schon aufgrund der Masse an zu kontrollierenden Beiträgen werde es daher weiterhin schwarze Schafe geben.

In-App-Käufe und Werbung

Ein weiteres Risiko stellt die Möglichkeit der In-App-Käufe dar. Diese Funktion verwenden in erster Linie minderjährige NutzerInnen, um andere UsererInnen mit virtuellen Geschenken zu unterstützen. Statt der kleinen Aufmerksamkeiten erhält der oder die Beschenkte am Ende des Tages Geld in Form einer Gutschrift. Davon abgesehen kann direkt in der App auch für andere Dinge Geld ausgegeben werden, wie für Spezialeffekte, welche die Videos weiter aufpeppen sollen.

Aufgrund der Möglichkeit, auch finanziell in die Falle tappen zu können, ist es ausgesprochen wichtig, Kindern aufzuklären. Eltern sollten ihnen die unterschiedlichen Formen von Werbung näherbringen und über die verschiedenen Bezahlvorgänge Aufklärungsarbeit leisten. Im Idealfall sollten gerade Kinder, aber mitunter auch die jugendlichen Nutzer Downloads und Käufe nur in Absprache mit den Eltern tätigen.

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App-Profil gemeinsam einrichten

Um den eigenen Kindern bei der Nutzung mehr Sicherheit mitzugeben, wird Eltern empfohlen, die App mit dem Kind gemeinsam einzurichten. Dabei können klare Absprachen getroffen und Regeln festgelegt werden, was das posten und chatten mit TikTok betrifft.

Nur so lässt sich Einfluss nehmen und über gewisse Fehlverhalten und Gefahren aufklären. Geht das Einrichten des Profils unter Aufsicht vonstatten stehen Eltern parat, falls sich Fragen und Unklarheiten auftun. So nehmen Kinder sie in Technik-Fragen vom Start weg als AnsprechpartnerInnen wahr. Mit dieser Herangehensweise kann gemeinschaftlich besprochen und beschlossen werden, welche Profileinstellungen sinnvoll sind oder zum Beispiel welche Art von Videos in welcher Form veröffentlicht werden können.

Verhaltensregeln festlegen

Das Festlegen von klaren Regeln bildet die Grundlage, um Kinder ein verantwortungsbewusstes Nutzen der App beizubringen. Mit Bedacht posten! Die Vorsicht im Bezug auf eigene Posts ist zweifelsohne das Erste, was junge Heranwachsende lernen sollten. Ähnlich wichtig ist es für sie zu wissen, wie sie sich bei erhaltenen, unangebrachten Kommentaren oder Nachrichten richtig verhalten. Hier sollte den Kinder bewusst gemacht werden, dass sie sich bei Problemen jederzeit an ihre Eltern wenden können. Eine weitere Möglichkeit, welche Eltern aufzeigen können, ist das Sperren und Melden von anderen Nutzern.

Beiträge und NutzerInnen, die als unangemessen wahrgenommen werden, kann jeder über eine Funktion innerhalb der App melden. Sollten Kinder auf TikTok Nachrichten oder Kommentare erhalten, die sie verunsichern, ihnen Angst machen oder die nicht von Gleichaltrigen stammen, wird geraten, die Meldefunktion nutzen. Gesperrten NutzerInnen wird eine erneute Anmeldung jedoch nicht verwehrt. Sie können sich trotz Fehlverhaltens ohne Auflagen ein neues Profil anlegen – sogar mit ähnlichem Profilnamen.

Schutz von Privatsphäre und eigenen Daten

Gerade bei Kindern und Jugendlichen, die häufig nicht „an später“ denken, ist es besonders wichtig genau zu überlegen, welche Inhalte sie veröffentlichen dürfen und auf welche sie generell verzichten sollten. Das Internet vergisst nie. In der vermeintlich sicheren Gemeinschaft sozialer Netzwerke posten gerade Teenager all zu schnell und arglos persönliche Informationen oder private Beiträge.

In den Einstellungen der App lässt sich das Profil des Kindes ausserdem auch auf privat stellen. Gerade beim Einstieg in die App scheint dies ein guter Rat zu sein. Dadurch können ausschließlich die Personen gepostete Beiträge sehen, denen zuvor eine Genehmigung zum Folgen des Profils erteilt wurde. Wenn dem Kind nur befreundete NutzerInnen Nachrichten schicken oder dessen Beiträge kommentieren können, reduzieren sich die Gefahrenquellen eklatant.

Werden Beiträge öffentlich gepostet, können sie nicht nur von jedem gesehen, sondern auch gespeichert werden. Gerade das Speichern und die möglicherweise daraus resultierenden Probleme sind vielen jungen Nutzern nicht bewusst. In der App selbst gibt es zwar (noch) keine Funktion um Videos von anderen NutzerInnen zu speichern, über die zur Verfügung stehende Link-Funktion können die Videos allerdings über andere Websites oder Cloud-Dienste heruntergeladen und weiterverwertet werden. Dazu muss nur der Link zum Video kopiert werden. Auf Videodownloads spezialisierte Webseiten sorgen dann für den Rest.

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TikTok zielt auf Kinder ab

Entgegen der offiziellen Angabe zur Zielgruppe – eine Anmeldung ist theoretisch erst ab einem Alter von 13 Jahren erlaubt – ist die App optimal auf die Bedürfnisse von Kindern zwischen zehn und 13 Jahren ausgerichtet. Es fällt auf, wie stark TikTok den sich entfaltenden Charakter der Kinder ins Visier nimmt und ihren Wunsch zur Selbstdarstellung anspricht.

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TECHBOOK meint:

Eltern sollten sich mit der App auseinandersetzen und sich mit der Nutzung durch ihre Kinder vertraut machen. Nur dann haben sie überhaupt eine Chance, auf Schwierigkeiten im Bezug auf Datenschutz, Privatsphäre, Urheberrecht und ungeeignete Inhalte hinzuweisen und falls nötig weiterhelfen zu können.

Themen Kinder
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