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Das WhatsApp der 90er-Jahre

Was ist eigentlich aus dem Messenger ICQ geworden?

Die ICQ-App (hier auf dem iPhone) bietet alle Features, die man von einem modernen Messenger erwartet
Die ICQ-App (hier auf dem iPhone) bietet alle Features, die man von einem modernen Messenger erwartet Foto: TECHBOOK

24.02.2024, 19:42 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten

Früher war ICQ Kult, es galt als DAS Chat-Programm. Mittlerweile wurde es von Diensten wie WhatsApp abgelöst. Tot ist ICQ aber dennoch nicht.

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Im Jahr 1996 heißt das Internet bei vielen Menschen AOL, weil die meisten in den Anfängen des World Wide Web die bunte Plattform für „das Netz“ hielten. Deutschland wird Fußball-Europameister, Take That verlassen die Showbühne und ICQ erobert die Welt. Moment, ICQ? Der Name ICQ steht für den Satz „I seek you“ und ist der erste kommerziell erfolgreiche Messenger der Welt. Entwickelt haben ICQ vier Studenten aus Israel. Mit ICQ hält eine neue Form der Kommunikation Einzug in das Leben von Menschen: das Chatten.

Zur Erklärung: Bis in die 1990er-Jahre haben sich junge Leute persönlich oder per Telefon verabredet. Dank ICQ geht das nun auch per Computer. Der Zugang funktioniert denkbar einfach: Kostenlose ICQ-Software installieren, relevante Daten eingeben und los geht’s. Jede Benutzerin oder jeder Benutzer erhalten eine einzigartige ICQ-Nummer, zu Beginn noch sechsstellig, später achtstellig und ein wertvolles Gut. Da es Handys noch nicht flächendeckend gibt, haben junge Leute ICQ-Nummern ausgetauscht.

ICQ entwickelt sich rasant. Plötzlich ist es dank des Messengers möglich, mit Menschen auf der ganzen Welt zu schreiben oder zu chatten, wie es nun heißt, und das Ganze in Echtzeit. Junge Leute hocken vor ihren Rechnern und warten auf ihre Freunde. Wann ändert sich die rote Blume auf Grün? Das bedeutet, ein Freund ist gerade online gegangen.

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Online gehen ist teuer

Im Netz unterwegs zu sein, ist damals eine teure Sache gewesen. Flatrates oder Ähnliches gab es in der Form noch nicht. Die Onlinezeit läuft über die normale Telefonrechnung. Die fällt in den 1990er-Jahren, in den jungen Jahren des Internets, deswegen häufig höher aus. Heute, wo wir alle ständig im Netz sind, können wir uns die damalige Situation kaum vorstellen. Wenn der Status eines Freundes bei ICQ von rot auf grün wechselt, führt das auf der anderen Seite des Rechners zu gewaltigen Gefühlsexplosionen.

Mit dem Chatten hält auch ein weiteres Thema Einzug. Sozialer Druck. Auch das haben wir vermutlich ICQ zu verdanken. Denn wenn ein Freund online gegangen ist und dieser nicht innerhalb einer bestimmten Zeitspanne auf die eigene Nachricht geantwortet hat, ist das später – bei einem persönlichen Treffen – Anlass für Diskussionen gewesen. „Warum hast du denn nicht geantwortet? Du bist doch online gewesen.“ Diese Gespräche gibt es so oder so ähnlich bis heute immer noch. Leider.

Der Erfolg von ICQ lässt selbstverständlich auch andere Unternehmen aufhorchen. Damals nutzen mehr als 100 Millionen Menschen den Messenger weltweit, zur damaligen Zeit und der teilweise noch geringen Internetverbreitung eine gewaltige Zahl. Deswegen entscheidet sich der erfolgreiche Anbieter von Internet-Zugängen, AOL, im Jahr 1998, den Dienst für sage und schreibe 407 Millionen US-Dollar zu kaufen.

Der Boom hält noch eine Weile an. AOL selbst bastelt, genauso wie inzwischen auch Microsoft, an eigenen Messenger-Diensten. Denn das Potenzial des Echtzeit-Chats erkennen inzwischen auch andere Dienstleister. Doch nur kurze Zeit später verändert sich die Welt.

Technikwandel verdrängt ICQ

Bislang wählen sich Menschen per Modem ins Internet ein. Ende der 1990er-Jahre taucht eine neue Einwahlmöglichkeit auf: das Breitbandnetz. Damit etablieren sich auch erste Flatrate-Angebote. In der Folge tauchen immer mehr Menschen online auf, allerdings nicht mehr über AOL, die den technologischen Trend nicht rechtzeitig erkannt haben. Damit beginnt der Stern von ICQ langsam zu sinken.

Vor allem Facebook beendet mit einem eigenen Messenger ab Mitte der 2000er-Jahre die goldenen Zeiten von ICQ. Der einstige Messenger-Gigant ist plötzlich nur noch einer unter vielen und irgendwann einfach nicht mehr cool genug. Vielleicht ein erster Vorgeschmack auf das, was wir im Internet immer wieder erleben, nur viel schneller: Heute noch das große Ding und morgen schon vergessen.

Spätestens mit dem Aufkommen von WhatsApp haben auch die letzten ICQ-Fans den Kanal gewechselt. Was WhatsApp nämlich geschafft hat, ist ICQ niemals gelungen: Die SMS abzulösen. Dennoch ist der Messenger mit der grünen Blume eine Art frühes WhatsApp gewesen. Nur haben die limitierten technischen Möglichkeiten einen größeren Siegeszug verhindert.

Auch interessant: Über 30 Jahre SMS – die Geschichte hinter der Kurzmitteilung 

Messenger wird stetig weiterentwickelt

ICQ ist im Jahr 2010 an die russische Mail.ru Group (jetzt VK Group) verkauft worden. Der Deal brachte AOL damals nur noch 187,5 Millionen US-Dollar. Die Zahl der ICQ-Nutzer lag zu diesem Zeitpunkt bei etwa 42 Millionen und sank danach noch weiter auf knapp 10 Millionen.

Trotzdem entwickelt die VK Group ICQ stetig weiter – auch in Form von Apps für Android und iOS. Aktuell ist die iOS-App auf Platz 198 in den „Soziale Netzwerke“-Charts und hat zuletzt vor zehn Monaten ein Update bekommen. Zwar gibt es keine verlässlichen Angaben zu Nutzerzahlen, laut Analyse-Firma Semrush haben aber zwischen Oktober und Dezember 2023 im Schnitt 2,27 Millionen Menschen die ICQ-Website besucht. Ein Viertel der Besucher kommt dabei aus Brasilien, gefolgt von Russland und den USA.

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So sieht ICQ heute aus

ICQ ist noch heute mit der Nummer nutzbar, die man vor fast 30 Jahren bei der Anmeldung bekommen hat. Allerdings bevorzugt der Messenger jetzt Telefonnummern – ohne ist die Neuregistrierung nicht möglich.

TECHBOOK-Redakteur Adrian Mühlroth hat sich mit seiner ICQ-Nummer aus dem Jahr 2005 oder 2006 problemlos in der aktuellen Browser-Version und in der App anmelden können. Alle Kontakte von damals sind weiterhin dort zu finden – abgesehen von den gelöschten Profilen. Manche der Kontakte sind sogar als „Online“ markiert, es scheint also tatsächlich noch Nutzer von damals zu geben.

Wenn man sich mit der alten ICQ-Nummer anmeldet, erscheinen alle Kontakte von früher – leider ohne die Chat-Verläufe
Wenn man sich mit der alten ICQ-Nummer anmeldet, erscheinen alle Kontakte von früher – leider ohne die Chat-Verläufe Foto: TECHBOOK

Wer die Kontakte sind, lässt sich allerdings nicht so leicht nachvollziehen. Der Chatverlauf ist leider nicht mehr vorhanden. Wer sich nicht daran erinnert, welche Personen hinter den Nicknames stehen, hat keine Chance, die wahre Identität herauszufinden – außer, sie haben eine Rufnummer hinterlegt. Und nach 20 Jahren Pause ist es manchmal schwierig, diese Information abzurufen.

ICQ hat selbstverständlich auch einen Dark Mode
ICQ hat selbstverständlich auch einen Dark Mode Foto: TECHBOOK

Äußerlich ist ICQ immer noch so simpel aufgebaut wie vor drei Jahrzehnten. Links die Kontaktleiste, rechts das Chat-Fenster. Unter der Haube hat sich allerdings einiges getan. Es sind alle gängigen Features zu finden, die man von einem Messenger erwartet: Gruppen-Chats, Sprach- und Videoanrufe, Sprachnachrichten, Emojis, Bilder-, Video- und Dateiversand und sogar Umfragen.

Alle Features eines modernen Messengers sind vorhanden
Alle Features eines modernen Messengers sind vorhanden Foto: TECHBOOK

Ist ICQ aber auch tatsächlich eine brauchbare Alternative zu WhatsApp, Telegram oder Signal? Glaubt man den eigenen Angaben der VK Group, bieten nicht nur Nachrichten auf ICQ Ende-zu-Ende-Verschlüsselung (E2EE), sondern erstmals bei einem Messenger sogar Video-Anrufe. Damit ist ICQ theoretisch sicherer als die Konkurrenz und zumindest einen Blick wert.

Themen #nordvpn Geschichte Messenger
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