Im Jahr 1996 heißt das Internet bei vielen Menschen AOL, weil die meisten in den Anfängen des World Wide Web die bunte Plattform für das Netz hielten. Deutschland wird Fußball-Europameister, Take That verlassen die Showbühne und ICQ erobert die Welt. Moment, ICQ? Der Name ICQ steht für den Satz „I seek you“ und ist der erste kommerziell erfolgreiche Messenger der Welt. Entwickelt haben ICQ vier Studenten aus Israel. Mit ICQ hält eine neue Form der Kommunikation Einzug in das Leben von Menschen: Das Chatten.
Zur Erklärung: Bis in die 1990er Jahre haben sich junge Leute persönlich oder per Telefon verabredet. Dank ICQ geht das nun auch per Computer. Der Zugang funktioniert denkbar einfach: Kostenlose ICQ-Software installieren, relevante Daten eingeben und los geht’s. Jede Benutzerin oder jeder Benutzer erhalten eine einzigartige ICQ-Nummer, zu Beginn noch sechsstellig, später achtstellig und ein wertvolles Gut. Da es Handys noch nicht flächendeckend gibt, haben junge Leute ICQ-Nummern ausgetauscht.
ICQ entwickelt sich rasant. Plötzlich ist es dank des Messengers möglich, mit Menschen auf der ganzen Welt zu schreiben oder zu chatten, wie es nun heißt, und das Ganze in Echtzeit. Nun hocken junge Leute vor ihren Rechnern und warten auf ihre Freunde. Wann ändert sich die rote Blume auf grün? Das bedeutet, ein Freund ist gerade online gegangen.
Online gehen ist teuer
Online gehen ist damals eine teure Sache gewesen. Flatrates oder Ähnliches gab es in der Form noch nicht. Die Onlinezeit läuft über die normale Telefonrechnung. Die fällt in den 1990er Jahren, in den jungen Jahren des Internets, deswegen häufig höher aus. Heute, wo wir alle ständig im Netz sind, können wir uns die damalige Situation kaum vorstellen. Wenn der Status eines Freundes bei ICQ von rot auf grün wechselt, führt das auf der anderen Seite des Rechners zu gewaltigen Gefühlsexplosionen.
Mit dem Chatten hält auch ein weiteres Thema Einzug. Sozialer Druck. Auch das haben wir vermutlich ICQ zu verdanken. Denn wenn ein Freund online gegangen ist und dieser nicht innerhalb einer bestimmten Zeitspanne auf die eigene Nachricht geantwortet hat, ist das später – bei einem persönlichen Treffen – Anlass für Diskussionen gewesen. „Warum hast du denn nicht geantwortet? Du bist doch online gewesen.“ Diese Gespräche gibt es so oder so ähnlich bis heute immer noch. Leider.
Der Erfolg von ICQ lässt selbstverständlich auch andere Unternehmen aufhorchen. Damals nutzen mehr als 100 Millionen Menschen den Messenger weltweit, zur damaligen Zeit und der teilweise noch geringen Internetverbreitung eine gewaltige Zahl. Deswegen entscheidet sich der erfolgreiche Anbieter von Internet-Zugängen, AOL, im Jahr 1998, den Dienst für sage und schreibe 407 Millionen US-Dollar zu kaufen.
Der Boom hält noch eine Weile an. AOL selbst bastelt genauso wie inzwischen auch Microsoft an eigenen Messenger-Diensten. Denn das Potenzial des Echtzeit-Chats erkennen inzwischen auch andere Dienstleister. Doch nur kurze Zeit später verändert sich die Welt.
Technikwandel verdrängt ICQ
Bislang wählen sich Menschen per Modem ins Internet ein. Ende der 1990er Jahre taucht ein neue Einwahlmöglichkeit auf: das Breitbandnetz. Damit etablieren sich auch erste Flatrate-Angebote. In der Folge tauchen immer mehr Menschen online auf, allerdings nicht mehr über AOL, die den technologischen Trend nicht rechtzeitig erkannt haben. Damit beginnt auch der Stern von ICQ langsam zu sinken.
Vor allem Facebook beendet mit einem eigenen Messenger ab Mitte der 2000er Jahre die goldenen Zeiten von ICQ. Der einstige Messenger-Gigant ist plötzlich nur noch einer unter vielen und irgendwann einfach nicht mehr cool genug. Vielleicht ein erster Vorgeschmack auf das, was wir im Internet immer wieder erleben, nur viel schneller: Heute noch das große Ding und morgen schon vergessen.
Spätestens mit dem Aufkommen von WhatsApp haben auch die letzten ICQ-Fans den Kanal gewechselt. Was WhatsApp nämlich geschafft hat, ist ICQ niemals gelungen: Die SMS abzulösen. Dennoch ist der Messenger mit der grünen Blume eine Art frühes WhatsApp gewesen. Nur haben die limitierten technischen Möglichkeiten einen größeren Siegeszug verhindert.
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ICQ New – (fast) alles neu
ICQ ist Im Jahr 2010 an ein russisches Investmentunternehmen verkauft worden. Der Deal bringt AOL nur noch 187,5 Millionen US-Dollar. Die Zahl der ICQ-Nutzer liegt zu diesem Zeitpunkt bei etwa 42 Millionen und sinkt danach noch weiter auf knapp 10 Millionen. Die aktuelle Version des Messengers stammt aus dem Jahr 2016.
ICQ lebt aber immer noch. Als heftige Diskussionen über die geänderten Datenschutzrichtlinien bei WhatsApp aufkommen und viele Nutzerinnen und Nutzer dem beliebten Messengerdienst den Rücken kehren, taucht sogar ICQ vereinzelt als Alternative auf. So haben die älteren Internetuser zumindest mitbekommen, dass es ICQ noch gibt.
Lust es auszuprobieren? Der Messenger hat einen neuen Namen und heißt ICQ New. Und keine Sorge: Sie müssen sich keine lange Nummer mehr merken. Inzwischen funktioniert ICQ wie jeder andere Messenger auch, mit Gruppen- und Videochat sowie Dateiversand.