
20. Juli 2025, 16:48 Uhr | Lesezeit: 18 Minuten
In seinen frühen Jahren zeigte das Fernsehen Polizisten, Detektive und Anwälte nahezu ausschließlich als stets strahlende, aber damit auch eindimensionale Helden. Irgendwann aber waren die Zuschauer übersättigt von so viel Makellosigkeit. Und spätestens mit der US-Serie „Polizeirevier Hill Street“ („Hill Street Blues“) setzten die Drehbuchautoren auf realistischere Charaktere mit einem Leben auch abseits des Jobs. Charaktere mit Spleens, mit Macken und Makeln, die alles andere als perfekt waren. Männer und Frauen, die das Böse, mit dem sie im Wochenrhythmus konfrontiert wurden, traumatisiert hatte. Und heute gibt es kaum noch einen TV-Cop ohne Deformierung an Leib und/oder Seele. Eine Entwicklung mit nach wie vor enormen Zuschauerpotenzial, wie die Erfolge von etwa „True Detective“ oder „Dept. Q.“ zeigen. TECHBOOK präsentiert zehn dieser versehrten Fernseh-Ordnungshüter.
Department Q (Dept. Q): DCI Carl Morck – Traumatisierter Kotzbrocken
„Department Q“ (Originaltitel: „Dept. Q“), der britische Netflix-Serienerfolg nach der literarischen Vorlage von Jussi Adler-Olsen, taugt gleichsam als Blaupause für einen Krimi um einen mit verhaltensauffällig noch wohlwollend charakterisierten Polizisten. DCI Carl Morck (Matthew Goode), Engländer in Diensten der Polizei von Edinburgh, mag – objektiv betrachtet –, eine Nervensäge sein. Für viele seiner Kollegen dagegen ist der TV-Cop ein unausstehliches Ekel, gar ein Kotzbrocken. Ein ständiger Besserwisser, der mit seinen Analysen allerdings häufig richtig liegt.
Wenn auch die groben Versatzstücke der literarischen Vorlage (oder der dänischen Kino-Verfilmung) dieselben sind, so hatten die Macher von „Dept. Q“ doch ein gutes Händchen dabei, der Handlung und den Charakteren ihre eigene Farbe zu geben. Wobei es Farbe nicht ganz trifft, wird die Atmosphäre doch nicht zuletzt geprägt durch das monochrome Grau des winterlichen Edinburghs. So kann man den Status der charmanten schottischen Hauptstadt als den einer weiteren Hauptrolle verstehen. Dennoch sind es natürlich gerade die Figuren, die die vom Zuschauer so empfundene Wahrhaftigkeit von „Dept. Q.“ ausmachen.
Wie bei anderen herausragenden englischen Krimi-Dramen („Broadchurch“, „Sherwood“ oder „Happy Valley“) wird man auch hier nicht mit buchstäblichen Stereotypen abgespeist. Wo es bei Produktionen aus Hollywoods Traumfabrik gelegentlich schwerfällt, den Star hinter der Rolle zu vergessen, gelingt es den Schauspielern von „Dept. Q“ weitgehend hinter ihren dargestellten Charakteren zu verschwinden. Fast meint der Zuschauer dann, es mit echten Menschen aus Fleisch und Blut zu tun zu haben.
Der Fahnder: Hannes Faber – Unkonventionalität light
„Der Fahnder“, das war Hannes Faber (Klaus Wennemann), Zivilfahnder in einer Stadt im Westdeutschland der frühen 80er. Gefühlt handelte es sich um eine Ruhrgebietsmetropole, gedreht aber wurde in München und Umgebung. Faber, von allen meist nur mit seinem Nachnamen angeredet, war der Typ ‚unkonventioneller Polizist‘. Einer, der es mit den Vorschriften nie ganz so genau nahm und, wenn es seiner Meinung nach der Sache dienlich war, schon mal buchstäblich über die Stränge schlug.
Damit aber kein falscher Eindruck entsteht: Fabers Unkonventionalität war in gewisser Weise eine Light-Version. Schließlich wurde die Serie im Vorabendprogramm ausgestrahlt, wodurch sich die auftraggebende ARD verpflichtet sah, gewisse Standards in Sachen, Sex und Gewalt einzuhalten. So waren Fabers Pfefferminzdrops, die er in einer Blechdose stets mit sich führte, um sie jederzeit jedem anbieten zu können, fast schon der Gipfel an Extravaganz. Nichtsdestotrotz strahlte die Figur einen jugendlichen Charme und Pfiff aus, die der Serie eine besondere Attraktivität verlieh. Nicht zuletzt war dies das Verdienst ihres Schöpfers. Dominik Graf, der später auch für von der Kritik gelobte Cop-Thriller wie „Die Katze“ und „Die Sieger“ verantwortlich zeichnen sollte, hatte das Konzept entwickelt. Graf, der heute zu den profiliertesten deutschen Film- und Fernsehregisseuren zählt und zehnmal mit dem renommierten Grimme-Preis ausgezeichnet wurde, führte zudem bei elf Episoden Regie.
Während „Der Fahnder“ per se ein langes Leben hatte (die Serie lief von 1984 bis 2005), blieb Faber mit zehn Jahren und 91 Folgen zwar Rekordhalter, wanderte dann aber laut Drehbuch nach Irland aus. Auf ihn folgten drei weitere Reinkarnationen von „Der Fahnder“, die von Jörg Schüttauf (als Thomas Becker), Michael Lesch (Martin Riemann) und Martin Lindow (als Thomas Wells) gespielt wurden. Für viele Fans der ersten Stunde aber galt das „Highlander“-Diktum: „Es kann nur einen geben“ – Hannes Faber!
Sherlock: Sherlock Holmes – Ein „hochfunktionaler Soziopath“
In den unzähligen Kino- und TV-Verfilmungen um „Sherlock Holmes“ wurde die berühmte Detektiv-Figur aus der Feder von Sir Arthur Conan Doyle stets als ausgewiesenes Cleverle, aber auch formvollendeter Gentleman englischen Zuschnitts dargestellt. Kurzum: Sherlock Holmes schien unantastbar. Um die Figur aber den Anforderungen eines modernen Publikums anzupassen, verlegten Steffen Moffat und Mark Gatiss die ursprünglich im viktorianischen England angesiedelte Handlung für die BBC-Serie „Sherlock“ ins London des 21. Jahrhunderts. Zudem unterzog das Autoren-Duo den Mythos des Originals einer Radikal-Kur. Eine Tour de Force, die einen TV-Cop gebar, der zwar ebenso blitzgescheit ist, wie der des Originals, gleichzeitig aber auch mit wenig schönen Charakterschwächen aufwartet.
So ist der von Benedict Cumberbatch hervorragend gespielte Sherlock Holmes alles andere als ein Sympathieträger. Cumberbatchs TV-Cop ist ein arroganter Pinsel, der keinen Zweifel daran lässt, dass er die Polizeibeamten, die er unterstützen soll, für hoffnungslos überfordert, wenn nicht inkompetent hält. Zudem neigt er dazu, Menschen für seine Zwecke zu instrumentalisieren und behandelt selbst seine wenigen Freunde, wie Dr. Watson, bisweilen schroff und von oben herab. Fast kein Wunder, dass Holmes sich selbst als „hochfunktionaler Soziopath“ bezeichnet. Dass er nikotinsüchtig ist und auch härtere Drogen wohl nicht verschmäht, rundet das Bild eines rücksichtslosen, kaum bindungsfähigen Menschen ab.
Übrigens: Seit 2017, dem Ende der vierten Staffel, hält sich bei den unzähligen Fans der Serie die Hoffnung, dass „Sherlock“ den Kampf gegen das Böse noch einmal aufnehmen könnte. Moffat jedenfalls wäre sofort einverstanden. „Ich würde es morgen tun“, erklärte der Autor vor einiger Zeit in einem Interview. „Ich meine, Arthur Conan Doyle hat 60 Romane geschrieben. Es ist kein Format, das sich abnutzt, und ich bin bereit.“ Aber er fügte hinzu: „Man braucht die beiden großen Stars. Und das ist das Problem.“ In der Tat scheint die Bereitschaft bei Cumberbatch und Freeman eher fraglich. Ob es terminliche oder vielleicht doch andere, persönlichere Gründe sind, „Sherlock“ ruhen zu lassen, das können die beiden wohl nur selbst beantworten.
Columbo: Inspektor Columbo – sonderbarer TV-Cop mit Erfolgsgarantie
Ein Whodunit, also das Mitraten des Zuschauers, wer denn nun der Täter war, das gab es bei „Columbo“ nie. Und genau das machte „Columbo“ aus, dass man den Täter vom ersten Moment an kannte. Gleich zu Beginn war der Zuschauer, wenn man so will, ‚live‘ dabei, als das jeweilige Verbrechen geschah. Dass „Columbo“ dennoch – oder vielleicht gerade deshalb –, zu einem großen Serien-Erfolg wurde, lag in erster Linie an der auf den ersten Blick beinahe parodistisch erscheinenden Figur, die Inspektor Columbo (Peter Falk) machte. Columbo, dem das Drehbuch nicht einmal einen Vornamen zugestanden hatte, kam buchstäblich zerknittert daher. In seinem schäbigen Trenchcoat und mit seinem wirren Haarschopf sah er stets so aus, als hätte er im Obdachlosen-Asyl übernachtet und wäre gerade erst von der Pritsche gefallen.
Logisch, dass Täter diesen seltsamen Polizisten bestenfalls belächelten und sich ihm stets überlegen fühlten, handelte es sich bei der jeweiligen Tat doch meist um ein raffiniertes, bis ins kleinste Detail ausgeklügeltes Verbrechen eines Superhirns. Columbos vermeintliches Handicap war aber gerade seine größte Stärke. Immer wieder unterschätzte man ihn, auch, weil er bisweilen unbeholfen wirkte. Zudem entwickelte er sich im Laufe der Ermittlungen stets zu einer regelrechten Nervensäge. Und sein „Eine Frage noch …“, wenn er beinahe schon aus der Tür war, wurde zu einer Art Running Gag, mit dem er sein Gegenüber an den Rand der Verzweiflung trieb.
Die Rolle des Bösewichts wurde im Übrigen stets mit früheren Koryphäen der Traumfabrik besetzt, was jeder Episode einen besonderen Charme verlieh. Stars wie Janet Lee (Hitchcocks „Psycho“), Ida Lupino, eine der wenigen Frauen in Hollywood, die vor und hinter der Kamera Karriere machte, Leonard Nimoy, besser bekannt als „Mr. Spock“, oder Horrorfilm-Legende Vincent Price gaben sich die Klinke in die Hand.
Für Peter Falk war „Columbo“ die Rolle seines Lebens. Seine Performance war der typische Fall, bei dem Schauspieler und dargestellter Charakter vollkommen deckungsgleich zu sein scheinen. Denkt man an Falk, einen hochbegabten Schauspieler aus der Riege der New Hollywood-Bewegung, dann denkt man unweigerlich an „Columbo“.
Für alle Fälle Fitz (Cracker): Dr. Edward Fitzgerald – Selbstzerstörerische Tendenzen
Heute mögen von zehn TV-Cops acht oder neun Helden mit deutlicher Eintrübung sein. Als 1993 aber „Für alle Fälle Fitz“ auf Sendung ging, die Serie um den unkonventionellen und oft unsympathisch wirkenden Kriminalpsychologen Dr. Edward „Fitz“ Fitzgerald (Robbie Coltrane), bedeutete ein derartiger Anti-Held fast ein Alleinstellungsmerkmal im TV-Programm.
Der stark übergewichtige Kettenraucher säuft wie ein Loch und ist obendrein spielsüchtig, sodass man durchaus von selbstzerstörerischen Tendenzen sprechen kann. Er ist auch ein Ehebrecher, ein Zyniker und bisweilen gar ein wahrer Menschenfeind. Aber Fitz ist nun mal auch ein brillanter Kopf. Ein wortgewaltiger Top-Profiler, dem es immer wieder gelingt, tief in die Psyche des Täters einzutauchen und so der Polizei entscheidende Hinweise zu liefern. Wobei es hier meist um das „Weshalb?“ geht, während das „Wer?“, ähnlich wie bei „Columbo“, dem Zuschauer bereits bekannt ist. Im englischen Polizeijargon nennt man einen solchen Mann „Cracker“, jemand, der den Schuldigen „knackt“, seine Motivation offenlegt. Dabei beweist Fitz immer wieder seine große Empathie-Fähigkeit, die aber – verquer genug –, ausgerechnet den Mördern, den Rassisten, den Kinderschändern zuteilwird, während er seine eigene Familie emotional auf Distanz hält.
Neben dieser Ambivalenz der Hauptfigur ist es gerade dieser intellektuelle Ansatz sowie die dem Zuschauer beinahe körperliche Schmerzen zufügende Darstellung der abscheulichsten Verbrechen, die „Für alle Fälle Fitz“ deutlich von anderen Krimis jener Jahre unterscheidet. Aus heutiger Sicht könnte man sogar sagen, dass „Für alle Fälle Fitz“ eine Vorreiterrolle für den erst 20 Jahre später auftauchenden „Sherlock“ (Holmes) gehabt haben könnte. Wie der arbeitet auch Fitz einer Polizei zu, die ohne Hilfe aufgeschmissen scheint. Und wie Holmes ist auch Fitz, der längst selbst einen Psychologen nötig hätte, ein Gejagter der eigenen Dämonen.
Der Chef (Ironside): Robert T. Ironside – TV-Cop im Rollstuhl
Der Polizist Robert T. Ironside (Raymond Burr) wird bei einem Anschlag angeschossen und ist seitdem von der Hüfte an abwärts gelähmt. Trotzdem will Ironside weiter für die Polizei arbeiten und bietet sich dem San Francisco Police Department als freiberuflicher Berater an. Er stellt ein kleines Team zusammen und macht nun vom Rollstuhl aus den Gangstern das Leben zur Hölle.
Als „Der Chef“ Ende der 1960er Jahre auf Sendung ging, war ein Held mit Handicap eine absolute Ausnahme im Einerlei des Serien-Fernsehens. Lediglich die beiden Western-Serien „Tate“ und „Der Mann ohne Namen“ hatten sich einige Jahre zuvor an Helden mit Handicap versucht (Verlust eines Armes hier, Gedächtnisverlust dort). Allerdings ohne Erfolg. Man hätte also annehmen können, dass ein TV-Cop, der im Rollstuhl saß, neben den vielen, vor Virilität nur so strotzenden Krimi-Helden wenig Aussicht auf Erfolg haben würde. Das Gegenteil war der Fall: „Ironside“ lief in den USA über acht Jahre und brachte es in dieser Zeit auf acht Staffeln mit 199 Episoden.
Wie populär „der Chef“ damals war, das bezeugte nicht zuletzt auch der Spielzeugauto-Hersteller Corgi Toys. Unter dem Namen „Ironside-Truck“ brachte Corgi eine Miniatur-Ausgabe des Vans auf den Markt, den „Der Chef“ als fahrendes Büro nutzte. Diese Praxis – das Auto zur TV-Serie oder zum Kinofilm –, ließ man nur den größten Kassen- oder Quoten-Erfolgen angedeihen, etwa „Batman“, „James Bond“, „Kojak“ oder „Starsky & Hutch“.
Monk: Adrian Monk – Zwangsvorstellungen im Dutzend
Man könnte Adrian Monk (Tony Shalhoub), den titelgebenden Charakter der Comedy-Krimi-Serie „Monk“, mit ein bisschen Fantasie als Nachfolger von Inspektor Columbo und von „Der Chef“ bezeichnen.
Wie Robert T. Ironside ist Monk ein ehemaliger Polizist des San Francisco Police Departments, der seinen Dienst quittieren musste. Allerdings nicht wegen einer körperlichen Verletzung, sondern aufgrund eines schweren Traumas, das durch den Mord an seiner Frau Trudy ausgelöst wurde. Drei Jahre lang hatte Monk danach seine Wohnung nicht verlassen und Zwangsstörungen und Phobien im Dutzend entwickelt. Dann aber versucht er, allmählich wieder Fuß zu fassen im Alltag und bietet sich – die nächste Parallele zu „Der Chef“–, seinen ehemaligen Kollegen als Berater bei besonders schwierigen Fällen an, bei denen konventionelle Polizeiarbeit an ihre Grenzen stößt.
Die Cops mögen bisweilen zwar seine Zwangsstörungen belächeln – unter anderem pflegt Monk einen Sauberkeitsfimmel –, schätzen aber sein hervorragendes Gedächtnis und die brillante Auffassungsgabe. Seine wenn auch unkonventionellen Methoden führen häufig zur Lösung eines Falles. Vor allem Monks ehemaliger Chef, Captain Leland Francis Stottlemeyer (Ted Levine), hält große Stücke auf Monks Vorgehensweise, auch wenn er diese längst nicht immer versteht. Geflissentlich sieht der Captain darüber hinweg, dass Monk längst nicht immer ein Sympathieträger ist. So muss sein Gegenüber Monks zeitweilige Rücksichtslosigkeit und Empathielosigkeit erst einmal aushalten.
Mit Columbo wiederum hat Monk gemein, dass er seiner Umwelt als ganz besonderer Sonderling gilt. Genau das aber führt regelmäßig dazu, dass er, wie Columbo, regelmäßig unterschätzt wird. Man nimmt einen Mann, der sich alle paar Minuten die Hände waschen muss, nun mal nicht ganz für voll, verspottet ihn vielleicht sogar. Am Ende aber ist es stets Monk, der lachen und für einen Moment die sich selbst auferlegten Zwänge vergessen kann. Was „Monk“ aber von allen anderen hier aufgeführten Serien unterscheidet, ist der Humor. Denn auch wenn Monks Schicksal und seine Erkrankung ernst genommen werden wollen, so schafft die bisweilen eingesetzte Situationskomik eine gewisse Leichtigkeit. Vielleicht könnte man Monk in diesem Zusammenhang auch als eine Art „trauriger Clown“ verstehen – was allerdings die ganz subjektive Meinung des Autors ist.
Drei Emmys, immerhin der wichtigste Fernsehpreis der USA, gewann Shalhoub mit „Monk“. Ein beinahe noch größerer Erfolg aber ist, dass es der Begriff „Monk“ bis in den allgemeinen Sprachgebrauch geschafft hat. Besonders eindrücklich definierte 2024 das „RedaktionsNetzwerk Deutschland“, was man unter seinem „inneren Monk“ zu verstehen hat. „Das bezeichnet das Wesen in einem, das man davon abhalten muss, ungefragt den Fussel am Jackett seines Chefs zu entfernen, das Wesen, das einen beim Supermarkt 70-mal einparken lässt, bis das Auto hundertprozentig parallel zu den Parkmarkierungen steht, und das einen sogar im Museum trotz eines drohenden Alarms zwanghaft Bilder gerade rücken lässt. Das Wesen, das erst dann Ruhe gibt, wenn alles perfekt strukturiert und sortiert ist.“
True Detective: Rust Cohle – TV-Cop als Sisyphus im Fegefeuer
So viel vorweg: Die erste Staffel der Crime-Anthologie „True Detective“ zählt zum Besten, was das Serien-Fernsehen hervorgebracht hat. Ohne Frage ist diese erste Staffel eines der gewaltigsten, intensivsten Serien-Erlebnisse überhaupt. Diese Tour de Force aber verlangt dem Zuschauer viel ab, schon, weil die Erzählung drei Zeitebenen bedient.
Der Polizist Rust Cohle (Matthew McConaughey), der seine Tochter durch einen Unfall verloren hat, ist ein Mann ohne jegliche Hoffnung. Er weiß längst, dass er den Krieg gegen das Böse nie dauerhaft gewinnen wird. Man kann sich ihn als Sisyphus im Fegefeuer vorstellen, seine messerscharfen Überlegungen zum moralisch verrotteten Zustand der Welt haben zudem beinahe philosophischen Charakter. Sein hemdsärmeliger Partner Marty Hart dagegen versucht sich stets das zu nehmen, was diese Welt für einen wie ihn noch bereithält. Er betrügt seine Frau und flüchtet sich ob der Ausführungen von Cohle bisweilen in bitteren Sarkasmus.
Beide, Cohle und Hart, sind (Kriegs-)Versehrte, wobei bei Cohle schon die äußerliche Verwandlung, die er durchläuft, mehr als nur ein Hinweis darauf gibt, dass er sich selbst aufgegeben zu haben scheint. Anfangs wirkt er austrainiert, ist stets frisch rasiert, trägt Sakko, Krawatte und Seitenscheitel. Davon aber wird später nichts mehr geblieben sein. Cohle hat dann einen ungepflegten Schnurrbart und trägt die fettigen langen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Gar verwahrlost erscheint einem der Kettenraucher, und man sieht ihm an, dass er dem Alkohol wohl mehr zuspricht, als ihm guttut.
„True Detective“ ist ein Gesamtkunstwerk, das Drehbuch von Nic Pizzolatto und die Inszenierung von Cary Joji Fukunaga sind brillant. McConaughey und Harrelson wiederum spielen mit einer Intensität, als hinge buchstäblich ihr Leben davon ab. Aber es ist McConaughey, der hier wohl die herausragendste Leistung seiner Karriere abgeliefert hat. Für den zuvor wegen seines blendenden Aussehens auf Romantic Comedys festgelegte Schauspieler war „True Detective“ der endgültige Durchbruch als Charakterdarsteller. Hatte er schon zuvor mit dem Aids-Drama „Dallas Buyers Club“ und The Wolf of Wall Street“ gezeigt, was wirklich in ihm steckt.
Der junge Inspektor Morse (Endeavour): Endeavour Morse – Ein rettungslos Versehrter
Man muss zunächst wissen, dass „Der junge Inspektor Morse“ die Vorgeschichte zu einer britischen Krimi-Serie liefert, die in England zwischen 1987 und 2000 sehr erfolgreich war. „Inspector Morse“ erzählte in acht Staffeln von den Kriminalfällen, die der in die Jahre gekommene Inspektor Endeavour Morse (John Thaw) in Oxford zu lösen hatte. Dieser Morse war ein brillanter Analytiker, aber auch ein Eigenbrötler und Einzelgänger. Wie aber wurde er zu diesem Mann?
Die Antwort lieferte ab 2012 „Der junge Inspektor Morse“, ein Prequel, das in der Zeit spielt, als der ehemalige Oxford-Absolvent Endeavour Morse (Shaun Evans) in den Polizeidienst der Stadt tritt. Er macht seine ersten Erfahrungen und steigt im Laufe der 60er-Jahre vom einfachen Detective Constable zum Sergeant und später zum Detective Inspector auf. Morse erweist sich rasch als ungewöhnlich kultiviert und intellektuell – er weiß über „La Traviata“ ebenso Bescheid, wie über die Punischen Kriege –, was ihn zunächst zum Außenseiter macht. Schnell aber lernen Kollegen und Vorgesetzte seine blitzschnelle Auffassungsgabe und Empathie-Fähigkeit, mit der er sich in die Gedankenwelt der Täter einfühlen kann, zu schätzen.
Tatsächlich könnte Morse ein Bruder im Geiste von Rust Cohle sein. Wie der „True Detective“-Charakter ist auch der junge Morse ein rettungslos Versehrter. Ein Mann, de im Laufe der Jahre jede Hoffnung fahren lassen wird. Er begreift, dass er das Grauen nicht aus der Welt schaffen kann und es seine einzige Aufgabe sein muss, den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Evans selbst hat seine Rollenfigur einmal so beschrieben: „Ich sehe Morse nicht als Helden. Ich sehe ihn als einen Mann, der versucht, einer Welt einen Sinn abzuringen, in die er eigentlich gar nicht passt.“ Genau das ist in der Tat sein Dilemma, an dem er zu zerbrechen droht. Er beginnt zu trinken, wird nachlässig, und seine wenigen Freunde drohen sich von ihm abzuwenden. Rettung sucht er wiederholt in der Liebe, scheitert dabei aber stets, bisweilen auch tragisch.

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Die Brücke – Transit in den Tod (Broen): Saga Norén – Promiskuitive Autistin
Als eine weibliche Leiche auf der Öresund-Brücke, die das dänische Kopenhagen mit dem schwedischen Malmö verbindet, gefunden wird, müssen die schwedische Kommissarin Saga Norén (Sofia Helin) und der dänische Inspektor Martin Rohde (Kim Bodnia) bei der Suche nach dem Mörder zusammenarbeiten. Denn die Leiche wurde nicht nur genau auf der Grenze zwischen den beiden Ländern abgelegt, sondern sie besteht auch aus zwei Teilen, die nicht zusammengehören. Der Oberleib stammt von einer Stadträtin aus Malmö, der Unterleib von einer Prostituierten aus Kopenhagen, die allerdings bereits vor 13 Monaten ermordet wurde …
Ähnlich wie bei „Monk“, handelt es sich bei Saga Norén (Sofia Helen) um eine Polizistin mit einer psychischen Störung. Saga ist Autist und zeigt Anzeichen des Asperger-Syndroms. Es fällt ihr schwer, zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen, nicht zuletzt, weil es ihr an Empathie mangelt. So gerät sie immer wieder in Situationen, in denen Martin zu verzweifeln scheint. Und auch Sagas wahllose One-Night-Stands kommen mit der unverblümten Direktheit der promiskuitiven Kommissarin nur schwerlich zurecht.
Das ist im Übrigen aber schon die einzige, vage Parallele zu „Monk“. Denn im Gegensatz zum Comedy-Charakter der US-Serie ist „Die Brücke – Transit in den Tod“ pures Nordic Noir. Die Bilder bleiben grau, wenn nicht gar düster, ähnlich wie das Wetter. Und das heile Bild der für ihre sozialen Errungenschaften lange gelobten skandinavischen Länder hat längst tiefe Risse. Wie tief, das zeigt gerade Sagas eigene Geschichte, die man im Laufe der ersten Staffel erfährt. Sie hatte vor Jahren nicht verhindern können, dass sich ihre Schwester, zu der sie eine tiefe Beziehung hatte, das Leben nahm. Und nachdem ihr Vater gestorben war, beging auch ihre Mutter, die ebenfalls unter einer psychischen Störung litt, Selbstmord. Doppelt schlimm für Saga: Neben dem schmerzhaften Verlust musste sie ertragen, dass man sie zunächst für die Mörderin der Mutter gehalten und sie bis zur Aufklärung ein Jahr lang im Gefängnis gesessen hatte.