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„Hochgradig unsicher“

Vor DIESER Verhütungs-App warnen Frauenärzte!

Ein Fieberthermometer und die App reichen, um mit „Natural Cycle“ zu verhüten.
Ein Fieberthermometer und die App reichen, um mit „Natural Cycle“ zu verhüten. Foto: Natural Cycles
Thomas Porwol

14.02.2017, 11:26 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten

Verhüten nur mit einer App? „Natural Cycles“ soll genau das können – und wurde sogar vom TÜV Süd zertifiziert. Experten halten sie trotzdem für „hochgradig unsicher“.

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Genauso sicher verhüten wie mit der Pille, aber ohne all die negativen Nebenwirkungen – das verspricht die App „Natural Cycles“ für Android und iOS, die nun sogar vom TÜV Süd als zuverlässige Form der Verhütung zertifiziert wurde. Aber kann die App tatsächlich eine echte Alternative zu Pille, Kondomen & Co. werden?

Verhütung mit App und Fieberthermometer

Statt einer Schwangerschaft mit Hormonen oder Kondomen vorzubeugen, setzt diese App auf das Messen der Fruchtbarkeit der Frau über die Körpertemperatur und soll so berechnen können, an welchen Tagen im Monat frau fruchtbar ist und an welchen nicht. Denn: Nach dem Eisprung steigt die Körpertemperatur leicht an.

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Messen die Nutzerinnen der App jeden Morgen ihre Körpertemperatur mit einem Fieberthermometer und geben diese in die App ein, soll „Natural Cycles“ erkennen, an welchen Tagen im Monat ungeschützter Sex möglich ist, ohne das Risiko einer ungewollten Schwangerschaft einzugehen. Andersrum zeigt die Anwendung auf Basis der eingegebenen Temperatur an, an welchen Tagen Paare unbedingt auf  klassische Verhütungsmethoden wie Kondome zurückgreifen sollten.

Genauso effektiv wie die Pille?

„Natural Cycles“ soll dabei eine Effektivitätsrate von 99,5% erreichen – und wäre damit gleichauf mit der Pille. Bestätigt wird das Ergebnis vom TÜV Süd, bei dem die Macher die App zur Zertifizierung eingereicht haben. Dazu mussten sowohl sämtliche technische Details der App sowie Ergebnisse von Studien über deren Effektivität offengelegt werden.

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Gegründet wurde das Unternehmen „Natural Cycles“ von den Physikern Elina Bergl und Raoul Scherwitzl, die gleichzeitig auch verheiratet sind. Bergl war Teil des Teams, das für die Entdeckung des Higgs-Teilchens mit einem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet wurde. „Ich wollte meinem Körper eine Pause von der Pille gönnen“, erklärte Bergl gegenüber „WIRED“. „Aber ich habe keine gute Form der natürlichen Verhütung gefunden, also habe ich den Algorithmus einfach selbst geschrieben.“

Experten warnen vor der App

Aber kann diese App tatsächlich verlässlich die Pille oder das Kondom ersetzen? TECHBOOK hat bei Dr. med. Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte, nachgefragt.

„Bei völlig regelmäßigem Tag-Nacht-Rhythmus ohne Abweichungen und ohne Stresssituationen, am besten ohne Alkoholkonsum, ohne Reisen, ohne wechselnde sportliche Aktivität und Anstrengung, gibt die Temperaturmessung morgens vor dem Aufstehen eine sehr gute Auskunft darüber, wann der Eisprung stattgefunden hat. Zur Auswertung braucht es allerdings keine App, sondern es reichen Stift und Papier“, so Dr. Albring.

Dabei hat die Anwendung durchaus Störfaktoren auf dem Schirm: An Tagen, an denen die Frau zwei Stunden länger oder kürzer schläft als normal, an denen sie sich krank fühlt, oder an einem Morgen, nachdem Alkohol getrunken wurde, macht eine Messung laut App keinen Sinn. Denn: Diese Faktoren könnten die Körpertemperatur außer der Reihe erhöhen, und die Berechnungs-Methode von „Natural Cycles“  würde dann womöglich zur falschen Schlussfolgerung kommen, dass ein Eisprung stattgefunden habe. 

Dem Experten reicht das allerdings nicht: Laut Dr. Albring müssten die Temperaturmessungen auch unterbleiben, wenn die Frau ausschlafe, wenn sie im Schichtdienst arbeite, wenn sie Sport vor dem Schlafengehen betreibe, etwa wegen Stress schlecht geschlafen habe oder auf Reisen sei. „Auch das sind Faktoren, die die Körpertemperatur beim Aufwachen ansteigen lassen können. Diese Informationen werden aber von der App nicht abgefragt.“ Außerdem sei vielen Paaren nicht klar, dass nach der Menstruation bis zum nachgewiesenen Eisprung immer verhütet werden muss. Vor dieser unbequemen Wahrheit schütze auch die neue App nicht.

„Eine App, die darauf nicht vorbereitet ist und die wesentliche Gründe für Temperaturschwankungen nicht abfragt und einbezieht, ist als hochgradig unsicher anzusehen“, so das Fazit des Experten.

Natural Cycles kontert Kritik

Nach der Kritik der Experten kontert Natural Cycles: Natürliche Verhütungen hätten einen Pearl Index (Fehlerquote) von 25, was konkret heißt: 25 von 100 Frauen werden pro Jahr trotzdem Schwanger. Das sei auch auf die ungenaue Methode zurückzuführen, die Daten händisch einzutragen – Unsicherheiten, die die Algorithmen der App entfernen würden. Die Fehlerquote bei der Natural Cycles liege bei gerade einmal 7, die der Pille im Vergleich bei 9.

Auch wehrt sich das Unternehmen gegen den Vorwurf, nicht alle Temperaturschwankungen zu erkennen. Diese würden selbstverständlich von der App erkannt, egal, welchen Grund sie haben. Das führe zu dem hohen Wirksamkeitsgrad des Algorithmus.

Empfohlen für Frauen in fester Beziehung

Empfohlen wird die App ohnehin vorrangig Frauen in einer festen Beziehung ohne häufig wechselnde Partner. Wer definitiv nicht schwanger werden will, sollte laut den Experten die Finger von „Natural Cycles“ lassen. Außerdem schützt die App nicht vor Geschlechts- und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten.

Über 100.000 Nutzerinnen haben die App laut Herstellerinformationen bereits weltweit in Gebrauch. Die Macher wollen die Anwendung nun sogar in das britische Gesundheitssystem integrieren: „Natural Cycles“ soll dann in Großbritannien wie die Pille von einem Arzt verschrieben werden können, die monatlichen Kosten von 5,40 Euro bei einem Jahresvertrag sollen die Kassen übernehmen.

Themen: Gesundheit
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